Alte Wunden

25. September 2020 0 Von annik

Hier in der Academie zu sein, hat alte Wunden wieder wachgerüttelt.

Sechs Jahre lang bin ich die Haflinger Stute Ronja geritten. Auf und mit ihr habe ich das Reiten gelernt und was es bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Sie war zwar eine sehr gemütliche Dame, aber tief in ihr hat ein gewaltiges Feuer gebrodelt, dass nur etwas mehr Ansporn gebraucht hat um auszubrechen.

Ronja war meine treuste Freundin und Zuhörerin. Immer wenn es mir schlecht ging, ich zu Hause Ärger hatte oder mir einfach langweilig war, habe ich mir mein oldschool Milka Rennrad geschnappt und bin zu ihr gefahren. Egal was passiert ist, sie war immer da und ich konnte wann ich wollte zu ihr gehen. Und auch, wenn ich mich nur zu ihr in die Box gesetzt habe, ging es mir jedes Mal augenblicklich besser.

Eines Tages bekam ich von der Besitzerin die Nachricht, das meine geliebte Ronja Kolik habe und die Kolik so schwerwiegend sei, dass sie eingeschläfert werden musste.

Ich hatte nie die Möglichkeit mich zu verabschieden, ihr lebe wohl zu sagen, ihr für die wunderschöne Zeit zu danken und dafür, dass sie immer für mich da war und ein offenes Ohr für mich hatte.

Danach waren Pferde für mich gestorben, ich wollte nichts mehr von ihnen wissen. Ich habe ihre Nähe einfach nicht ertragen können.

Meine Familie hat immer wieder versucht mich auf ein Pferd zu bringen, oder wenigstens in die Nähe eines. Aber ich habe mich schlicht und weg geweigert. Bis jetzt. Es hat mich sieben ganze Jahre gekostet, um diesen schmerzhaften Verlust zu verkraften und mit ihm auszukommen.

Seit ich hier in der Academie bin, wurde es immer besser. Mein Geist, hat Schritt für Schritt die Schutzmauern die er erichtet hat, fallen gelassen. Und ich konnte mich wieder öffnen und mehr auf die Pferde einlassen.

Bei diesem ganzen Prozess, mich wieder zu öffnen und nicht alle Gefühle abzublocken, hat mir ein gewisser jemand geholfen. Und ich weiß das klingt jetzt sehr klischeehaft, aber sein Name ist Sir Gawain (der sanftmütige). Er ist ein Irish Draft Horse und erst kurz vor mir hier in der Academie angekommen.

Ich kann Dir nicht genau sagen was es an ihm ist, sein sanftes, verspieltes und neugieriges Wesen, seine (zu Beginn) unermessliche Angst die mit jedem Tag ein klein bisschen besser wird, oder einfach dieses Band, diese Vertrautheit die von Anfang an da war, ich es aber erst entdecken musste. Wenn ich bei ihm bin, dann ist mein Verlust, nicht gänzlich vergessen, aber ich kann ihn zulassen und er ist schmerzhaft, aber es ist okay.



( Für alle die nicht wissen was eine Kolik ist, es sind extreme Bauchschmerzen und wenn sie nicht früh genung erkannt und behandelt werden, führen sie meist zum Tod) https://de.wikipedia.org/wiki/Kolik_(Pferdekrankheit)